Meng Chiang Nu
Die Mengs und die Chiangs waren durch eine Mauer getrennt. In einem Jahr pflanzte jede der beiden Familien einen Kürbis, dessen Triebe an beiden Seiten der Mauer hochkletterten, sich auf der Mauerkrone trafen, vereinigten und eine enorme Kürbisfrucht hervorbrachten. Als der Kürbis geteilt wurde, fanden sei in seinem Innern ein schönes kleines Mädchen. Sie nannten sie Meng Chiang.
Meng Chiang wuchs in einer Zeit des Krieges auf. Der chinesische Kaiser baute an der Grenze entlang von Norden nach Osten eine riesige Mauer. Um sicherzustellen, dass die Mauer nicht einstürzte, liess er an jeder der zehntausend Meilen Länge ein lebendes Opfer begraben. Während sein Verlangen nach Opfern wuchs, verfiel sein Reich dem Schrecken. Schliesslich kam ein Weiser zum Kaiser und legte ihm nahe, dass nur noch ein einziges Opfer nötig sei, das Leben eines Mannes namens Wan (dieser Name bedeutet „Zehntausend“). Dies allein würde die Geister zufrieden stellen.
So geschah es, dass Wan sich in einem Baum im Garten von Meng Chiangs Haus versteckt hielt, als diese nackt ins Mondlicht hinaustrat, um im Gartenteich zu baden. Sie sage laut: „Wenn ein Mann mich jetzt so sähe, dann wollte ich ihm voller Glück für immer gehören.“ Wan hörte das und rief laut aus seinem Baumversteck: „ Ich sehe Dich.“
Also heirateten Meng Chiang und Wan. Doch mitten im Hochzeitsfest drangen Soldaten ein und verschleppten Wan, um ihn zu opfern. Untröstlich weinend blieb seine Braut zurück.
Einige Zeit später unternahm Meng Chiang eine gefährliche Reise zu Grossen Mauer, um die sterblichen Überreste ihres Mannes zu suchen. Als sie die Mauer aber erreichte, verzweifelte sie angesichts ihrer Länge an der Frage, wo sie denn seien Gebeine suchen sollte. Als sie da sass und weinte, erbarmte die Mauer sich ihrer, sie stürzte ein und gab die sterblichen Überreste ihres Mannes frei.
Der Kaiser hörte von ihrer hingebungsvollen Suche. Er schickte er nach ihr, und von ihrer Schönheit entzückt, beschloss er sie zu seiner Frau zu machen. Meng Chiang willigte unter drei Bedingungen ein: Eine Begräbnisfeier von 49 Tagen sollte zu Ehren ihres Mannes stattfinden, alle Beamten des kaiserlichen Hofes sollten daran teilnehmen, und am Flussufer sollte ein neunundvierzig Fuss hoher Altar errichtet werden, wo sie dem toten Wan Opfer bringen konnte. Der Kaiser stimmte zu.
Als alle diese Vorbereitungen getroffen waren, stieg Meng Chiang auf die Spitze des Altars und beschimpfte den Kaiser vor allen Beamten und Mitgliedern des Hofes. In Wans Namen verfluchte und beschämte sie ihn wegen seiner Grausamkeit. Dann warf sie sich in den Fluss.
Der wütende Kaiser zog ihren Leichnam aus dem Wasser und schnitt ihn in kleine Stücke. Er zermalmte ihre Knochen zu Staub und warf den Staub in den Fluss. Da verwandelten sich die Staubkörnchen in kleine, silberne Fische. Und bis heute nähren diese Fische den Fluss und die Menschen mit der unvergänglichen Liebe von Meng Chiang.
Quelle: Die Vier Schilde, Steven Foster, Meredith Little
Märchen erzählen uns in der Symbolsprache etwas aus ihrer jeweiligen Kultur, aber sie verbergen weit mehr als das. Sie sind ein Spiegel, ein Ausdruck für Entwicklungen der Menschen.
Die Geschichte von Meng Chiang kann beispielsweise die Aussage beinhalten, dass der Geist der Liebe, der Liebe von Meng Chiang unzerstörbar ist. Da ihre Überreste sich eben in Nahrung für die Menschen und den Fluss verwandeln.
Vielleicht kennen auch Sie ein Märchen, welches Sie als Kind oder auch später berührt. Möglicherweise verbirgt es eine Botschaft, die für Sie wichtig ist. Märchen sind so gesehen eine wunderbare Möglichkeiten sein eigenes Leben zu reflektieren und sich selber zu verstehen.